YSA 23 - Anekdoten aus Utopia


Anekdoten aus Utopia

Eine dystopische Anthologie für den Young Storyteller Award 2023, die mehrere kurze Blicke in die nahe Zukunft wirft.

Themen sind dabei unter anderem zunehmende Überwachung, die zunehmende Bedeutung von KIs, der Klimawandel und seine sozialen Auswirkungen, Suchtproblematiken und vieles mehr.

Klappentext:

Nordamerika im Jahr 2040. Dürren, Hungersnöte, Wassermangel und gnadenlose Hitzewellen plagen neben sozialen Verwerfungen eine Gesellschaft, die orientierungslos nach einem Kompass sucht und sich dabei immer mehr verirrt. Wo bleibt der einzelne Mensch, wenn es im Zeitalter der Ratlosigkeit keine Antworten und Lösungen mehr zu geben scheint?


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Kapitel 14 als Leseprobe aus meiner Anthologie "Anekdoten aus Utopia", geschrieben für den Young Storyteller Award 2023

Friedenswaffen

Linda sagte Lloyd immer, dass er eine Art amerikanischer Held sei. Ihre Worte nahm er jeden Tag mit in die Fabrik. Sie schenkten ihm während den langen und einsamen Nachtschichten Mut und einen eisernen Willen zum Durchhalten.

Lloyd wirkte bei der Herstellung von – wie es sowohl die Regierung als auch sein Arbeitgeber Modern Vehicle Solutions, formulierte – Friedenswaffen mit. Die Firma produzierte neben unbemannten Flugobjekten modernster Bauart auch kleinere Schiffe, Panzer und Roboter humanoider Form, die extremen Witterungsbedingungen standhalten konnten.

Vor einigen Jahren war in den Vereinigten Staaten von Amerika eine hitzige Debatte entbrannt. Im Wesentlichen stand man vor der Entscheidung, ob der Darién Gap – ein tropischer Regenwald im Gebiet von Panama und Kolumbien, unberührt von der Panamericana – mit Nuklearwaffen beschossen werden sollte, um weitere Flüchtlingsströme aus Südamerika zu verhindern. Trotz der Befürwortung einiger Hardliner wurde der Plan schließlich als zu radikal verworfen.

Stattdessen wurde eine neue Streitmacht aufgestellt, die nicht der Army unterstand, sondern ein seltsames Konglomerat aus den Sicherheitsfirmen privater Unternehmen sowie Söldnern und ehemaligen Soldaten bildete. Die Northern Patriot Force erhielt weitreichende Mittel und Befugnisse vom Kongress. Fortan beherrschte sie die Gewässer vor Louisiana und Florida sowie die Grenzgebiete in Texas, Arizona, New Mexico und Kalifornien. Die Zahl der Todesfälle war unbekannt. Offiziell sollten sie die Flüchtlinge zurück nach Süden schicken, abseits neugieriger Augen nahmen Mord und Missbrauch Jahr für Jahr zu.

Die amerikanische Öffentlichkeit interessierte das kaum. Lloyd ging seiner Arbeit gern nach. Er überwachte Maschinen, die andere Maschinen herstellten, damit sie Menschen in unbewohnbar werdenden Habitaten bekämpfen konnten. Außerdem stand er in Kontakt mit der Logistik und dem Vertrieb. Jüngst war ein großer Auftrag von Frontex für ihre Aktivitäten auf Sizilien und in der Türkei eingegangen.

Linda sagte, wegen Männern wie ihm könnten die anständigen Leute nachts ruhig schlafen. Die Neuankömmlinge in Bath nahmen laut den Statistiken ab. Lloyd stellte das nicht infrage. Er wollte seine Familie beschützen, seine Heimat, alles, was ihm lieb und teuer war. Dank ihm standen mehr Amerikaner in Lohn und Brot, als es vonnöten gewesen wäre, da er die Automatisierungsprozesse aktiv verlangsamte und mehr menschlichen Arbeitern Platz verschaffte. In seiner Freizeit engagierte er sich in einer der zahlreichen Suppenküchen von Marywood. Außerdem spendete er an eine Hilfsorganisation, die sich um die Waisen im Armenviertel Ashville kümmerte.

Einmal, als die Demonstranten den Fabrikeingang blockiert hatten, waren ihm die Worte "Rassist" und "Kindsmörder" entgegengeschrien worden, während seine Windschutzscheibe mit dem roten Saft von Tomaten eingefärbt wurde. Er hatte den Kopf im Wissen geschüttelt, dass sie nichts verstanden. Modern Vehicle Solutions stand an vorderster Front, an den weit geöffneten Toren der Hölle, gemeinsam mit den tapferen Männern und Frauen der Northern Patriot Force. Es mochte bequem sein, Menschen wie ihnen die Schuld in die Schuhe zu schieben – aber welche Lösungen boten die Demonstranten an? Wie wollten sie ihre kostbare Freiheit bewahren, wenn ihr Land von Millionen Verzweifelter überflutet wurde?

Lloyd war ein guter Mensch mit reinem Gewissen und einem ruhigen Schlaf.



Kapitel 1 als Leseprobe aus meiner Anthologie "Anekdoten aus Utopia", geschrieben für den Young Storyteller Award 2023

Abkühlung

Melissa hatte angesichts der unerträglichen Temperaturen inmitten der sechsten Hitzewelle des Jahres 2040 beschlossen, die Nachmittagsstunden in einem öffentlichen Kühlhaus zu verbringen.

Zwar besaß sie eine Wohnung mit Klimaanlage, diese befand sich jedoch im Obergeschoss eines Apartmentgebäudes, welches sich durch die unpassende Isolierung wie ein Backofen aufheizte. Außerdem fiel durch die starke Belastung des Netzes immer wieder der Strom aus – im Kühlhaus gab es Notfallgeneratoren. Heute war es wieder einmal zu einem Stromausfall in ihrer Wohnung gekommen, ansonsten hätte sie einen der wertvollen Plätze aus Pietätsgründen nicht für sich beansprucht. Früher war der Aufenthalt kostenlos gewesen, um auch Obdachlosen und weniger Wohlhabenden eine Bleibe zu bieten – dieser Luxus gehörte der Vergangenheit an. Wer sich vor der Sonne schützen wollte, ohne das nötige Kleingeld zu besitzen, suchte die U-Bahn-Stationen auf, die aus diesem Grund phasenweise zu einem regelrechten Schmelztiegel zusammenwuchsen. Hin und wieder marschierte die Polizei wegen der explodierenden Zahl an kleineren Verbrechen wie Drogenhandel und Diebstahl ein, schlug ein paar hilflose Seelen zusammen und zog sich wieder zurück, nur damit sich die Situation in einer Woche wieder darstellte wie vor der Aktion.

Melissa gehörte also zu den Glücklichen. An einer von privaten Sicherheitskräften bewachten Schranke bezahlte sie den Obolus und setzte sich mit einer Flasche Wasser auf eine Bank. Die Menschen saßen dicht aneinandergedrängt herum und fächerten sich mit geröteten Gesichtern Luft zu. Melissa dankte dem Himmel dafür, ihre heutigen Termine erst in der Nacht zu haben, wenn die Temperaturen ein wenig gesunken waren. Hier drin mochte es nicht gerade angenehm sein, aber es ließ sich aushalten. Manche telefonierten laut mit Angehörigen, andere hörten Musik, wieder andere trugen die neueste Version einer Brille, mit der sie ihre physische Umgebung digital nach ihren Vorstellungen umgestalten konnten. Eine Gruppe junger Menschen drehte ein Video für ihre Follower.

Melissa scherte sich nicht um diese Dinge. Sie hatte ihre Beruhigungsmittel vergessen und ihre Hände kribbelten unangenehm, der Schweiß rann ihr in den Nacken und über das Gesicht; ihre Umwelt kam ihr feindseliger vor als sonst, scharfkantig, surreal. Ihr Kopf schmerzte leicht und sie spürte das immer stärkere Unbehagen in sich, welches auf eine näher rückende Panikattacke hindeutete.

"Beruhig dich", dachte sie. "In zwei, drei Stunden wird es dunkel und du kannst nach Hause."

Sie spannte abwechselnd die Muskelpartien ihrer Oberarme an und entspannte sie wieder, gefolgt von den Unterarmen, den Händen, den Fingern, ehe sie gedanklich zu ihren Beinen überging. So hatte sie es in einem Video zu Entspannungstechniken gelernt. Vielleicht brauchte sie einen Therapeuten, aber die KI-Ärzte sagten ihr nicht wirklich zu. Termine bei Menschen waren kaum zu bekommen und selbst mit einem guten Einkommen nur schwer bezahlbar.

Jemand hustete. Die Nachbarn des jungen Mannes rückten sofort so weit wie möglich von ihm weg. Eine Dame mit Lockenwicklern in den Haaren fischte eine einfache OP-Maske aus ihrer Handtasche und setzte sie auf; manch einer nahm sich daran ein Beispiel, während ein weiterer Mann abfällig schnaubte.

"Behalten Sie Ihre Bazillen bei sich", wurde er daraufhin angefaucht.

Melissa reichte es. Lieber schmorte sie in der Hitze, statt sich auch nur eine Minute länger hier aufzuhalten.